Notfallversorgung darf keine Akutfälle aus der Regelversorgung abziehen

Morgen findet im Bundestagsausschuss für Gesundheit eine öffentliche Anhörung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung“ statt. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ist als sachverständige Institution eingeladen. Hierzu erklärt der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried:

„Der Gesetzentwurf zielt auf eine bessere Steuerung in der Akut- und Notfallversorgung. Damit sollen insbesondere die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlastet werden. Vorgesehen ist unter anderem, dass an ausgewählten Krankenhausstandorten Integrierte Notfallzentren (INZ) eingerichtet werden. Diese zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass eine Bereitschaftspraxis in unmittelbarer Nähe zur Notaufnahme besteht und sich Hilfesuchende an einem Tresen als zentrale Anlaufstelle vorstellen. Durch sichere Ersteinschätzungsverfahren soll geprüft werden, welche Dringlichkeit und welcher Behandlungsbedarf im Einzelfall besteht. Hilfesuchende, die keine unmittelbare Behandlung in der Notaufnahme benötigen, sollen in die Bereitschaftspraxis am Standort oder zu Praxisöffnungszeiten in eine nahegelegene Kooperationspraxis geleitet werden.

Zwar darf angenommen werden, dass dies INZ-Standorte für Hilfesuchende attraktiver macht. Dennoch bleiben die gesetzlichen Vorgaben zur Steuerung unvollständig. Und zwar so lange, bis nicht auch für die übrigen Notaufnahmen ohne INZ-Status gilt, dass dort nur Notfälle behandelt werden, die nach einer strukturierten Ersteinschätzung eine sofortige Behandlung in der Notaufnahme benötigen. Alle übrigen Hilfesuchenden sollten an INZ-Standorte oder in die Regelversorgung gesteuert werden. Für die Ersteinschätzung sollten dabei die gleichen Kriterien gelten wie für INZ-Standorte.

Blieben die bisherigen ‚Trampelpfade‘ in die Notaufnahmen bestehen, würde insbesondere in den Ballungsräumen ein relevanter Anteil der Akutfälle weiterhin fehlgeleitet. Dies zeigt die Berechnung des Fallzahlanteils aller 2023 ambulant an Notaufnahmen behandelten Fälle an Standorten mit oder ohne Bereitschaftspraxis. In Ballungsräumen wie Hamburg und Berlin werden rund 59 bzw. 58 Prozent aller ambulanten Notfälle an Standorten ohne Bereitschaftspraxis behandelt. In der Region Nordrhein (Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf) liegt der Anteil bei 38 Prozent, in Bayern bei knapp 29 Prozent. Die Anzahl der ambulant behandelten Notfälle kann nach Studienlage als Näherungswert für die Zahl der selbsteinweisenden Hilfesuchenden herangezogen werden.

Bleibt der Gesetzentwurf unverändert, würde für all diese Fälle keine Steuerung auf Basis eines sicheren Ersteinschätzungsverfahrens vorgesehen. Die gewünschte Konzentration der Notfallversorgung an den personell und apparativ besser ausgestatteten Notaufnahmen würde nicht unterstützt. In Ballungsräumen resultiert das Problem aus dem breiten Angebot von Notaufnahmen auch in Krankenhäusern der Notfallstufen 2 und 3 auf engem Raum. Keinesfalls wäre es aber sinnvoll, dort jeweils ein INZ einzurichten, schon gar nicht an den Häusern der Stufe 1 (Basisnotfallversorgung).

Warum ist es nun so wichtig, den Gesetzentwurf an den entscheidenden Stellen nachzuschärfen, um die beabsichtigte Steuerungsfunktion zu stärken? Aus der Versorgungsforschung ist bekannt, dass jede Zugangserleichterung zur Notfallversorgung einen deutlichen Anstieg der Inanspruchnahme nach sich zieht. Repräsentative Versichertenbefragungen zeigen, warum: Rund 50 Prozent der Arztkontakte finden statt, weil Hilfesuchende ein akutes Anliegen haben. In Hausarztpraxen können nach einer noch unveröffentlichten Studie des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Lübeck rund zwei Drittel der Fälle einem akuten Anliegen zugeordnet werden. Insgesamt schätzt das Zi die Zahl der Abrechnungsfälle in der vertragsärztlichen Versorgung, die aufgrund eines akuten Anliegens entstehen, auf etwa ein Drittel aller jährlichen Abrechnungsfälle – also rund 200 Millionen Akutfälle pro Jahr. Darunter sind allein 120 Millionen Fälle, die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auslösen. Im Bereitschaftsdienst werden dagegen rund 7,5 Millionen Fälle behandelt, rund 10 Millionen ambulant in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Weitere 8 Millionen werden ungeplant stationär aufgenommen. Bundesweit weisen die Daten rund 6 Millionen Rettungswageneinsätze aus.

Um die besonderen Angebote der Akut- und Notfallversorgung aber weiterhin leistungsfähig zu halten und um die Notfallversorgung an den besser ausgestatteten Standorten zu konzentrieren, muss strikt vermieden werden, dass aus der Regelversorgung mehr Akutfälle in die Notfallversorgung gezogen werden. Bereits geringfügige Verschiebungen akuter Inanspruchnahmeanlässe aus der Regelversorgung in Richtung Notfallversorgung können diese weitgehend lahmlegen. Die Ziele der Notfallreform würden konterkariert. Deshalb dürfen keine zusätzlichen Angebote geschaffen werden, die Versicherten nahelegen, sich an die Akut- oder Notfallversorgung zu wenden, wenn dies nicht unbedingt erforderlich ist.“


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Daniel Wosnitzka

Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher