Im Deutschen Bundestag findet heute die öffentliche Anhörung zum Regierungsentwurf eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG) statt. Hierzu erklärt der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried:
„Viel Licht, wenig Schatten, letzterer allerdings ist leider sehr dunkel – so lautet unser Fazit zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Das darin formulierte Ziel, die im Forschungsdatenzentrum vorliegenden pseudonymisierten Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen schneller nutzbar zu machen, unterstützen wir ausdrücklich. Zudem begrüßen wir, dass pseudonymisierte Gesundheitsdaten zukünftig leichter zusammengeführt und repräsentative Daten aus der elektronischen Patientenakte für die Forschung bereitgestellt werden sollen.
Wie schon bei der Anhörung zum Referentenentwurf zum Ausdruck gebracht, sehen wir jedoch einige Regelungsinhalte des Gesetzentwurfs überaus kritisch: Dies betrifft insbesondere das Vorhaben, die einzelnen Kranken- und Pflegekassen zu ermächtigen, auf Grundlage personenbezogener Daten das Risiko für das Vorliegen seltener Erkrankungen, Krebserkrankungen oder weiterer Gesundheitsgefährdungen ihrer Versicherten zu ermitteln. Dabei stellt sich aus wissenschaftlicher Sicht die Frage, inwieweit die Daten der Kranken- oder Pflegekassen geeignet sind, um ein für diese Zwecke valides Prognosemodell zu entwickeln, das Vorhersage künftiger Gesundheitsrisiken mit hoher Präzision gewährleistet. Dies ist nicht nur eine technisch-statistische Herausforderung. Es geht auch um den Umgang mit den Ergebnissen. Bisherige, auch KI-gestützte Modelle liefern nur zu einem sehr kleinen Anteil zutreffende Prognosen. Sehr viele Versicherte würden auf dieser Basis über ein Krankheitsrisiko unterrichtet, das gar nicht vorliegt. Das jetzige Vorgehen lässt völlig außer Acht, dass diese falsch positiven Ergebnisse die Versicherten unnötig beunruhigen. Logischerweise werden dadurch unnötige Untersuchungs- und Folgeleistungen in Anspruch genommen, die wiederum die Solidargemeinschaft mit vermeidbaren Kosten belasten und unnötig knappe Behandlungsressourcen beanspruchen. Im umgekehrten Fall von falsch negativen Ergebnissen könnten sich diejenigen, die keine Warnmeldung erhalten, in falscher Sicherheit wiegen und möglicherweise sogar auf sinnvolle Krebsfrüherkennungsuntersuchungen verzichten. Dies könnte zur Folge haben, dass Krebserkrankungen eventuell zu spät erkannt werden. Aus unserer Sicht muss ein sinnvolles Vorgehen auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage beruhen, deren Methodik und Ergebnisse von neutraler dritter Seite vorher bewertet wurden. Zudem sollte das Wording zur Erläuterung der Risiken und die weitere Betreuung der so Informierten zwischen Krankenkassen und medizinischen Versorgern vorher abgestimmt sein, um sinnvolle Prävention zu betreiben. Hierfür würde sich zum Beispiel der Gemeinsame Bundesausschuss eignen. Leider hat der Gesetzgeber auf diese Begleitmaßnahmen trotz zahlreicher kritischer Stellungnahmen verzichtet.
Auch die geplante Vorabübermittlung ungeprüfter Abrechnungsdaten an die Krankenkassen zur Weiterleitung an das Forschungsdatenzentrum bewerten wir nach wie vor kritisch. Diese ist nicht nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand in den Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen verbunden, sondern widerspricht darüber hinaus der guten Praxis der Sekundärdatenanalyse. Die Daten sind für gute wissenschaftliche Analysen und nicht zur Risikoprognose heranzuziehen. Damit wird vielmehr zusätzlicher Bedarf der Datenprüfung in Auswertungsanalysen generiert. Der Wissenschaft wird damit ein Bärendienst erwiesen.
Last, but not least: Statt die Kassenärztlichen Vereinigungen zu reinen Datenlieferanten zu degradieren, sollten diese neben der Datenbereitstellung der Abrechnungsdaten aus der ambulanten Versorgung die Daten auch verstärkt für ihre Aufgaben nutzen können. Dies wäre leicht möglich, indem man § 285 Absatz 1 SGB V entsprechend erweitert. Immerhin wird erwartet, dass Versorgungsdefizite frühzeitig erkannt werden und entsprechend gegengesteuert wird. Es ist überraschend, dass den Krankenkassen auf diesem Gebiet immer mehr Kompetenzen eingeräumt werden – im Vergleich zu den Körperschaften, die eine hochwertige ambulante Versorgung 24/7 planen, sicherstellen und laufend verbessern sollen.“
Das Presse-Statement zum Download.