Effiziente Akut- und Notfallversorgung nur durch enge Kooperation von Praxen, Kliniken und Rettungsdienst möglich // Ersteinschätzungssoftware SmED kann Notfallversorgung von weniger dringlichen Behandlungsfällen entlasten // Zi vergibt Anwender-Lizenzen
Viele Menschen wenden sich mit Behandlungsanliegen, die aus medizinischer Sicht keine Notfälle sind, an den Rettungsdienst oder an die Notaufnahme eines Krankenhauses. Diese Strukturen der Notfallversorgung sind nicht nur besonders teuer, die Kapazitäten können in Zeiten des Fachkräftemangels auch nicht einfach ausgeweitet werden. Somit besteht die Herausforderung, genau die Behandlungsanliegen zu erkennen, die zur Entlastung der Notfallversorgung anderswo adäquat versorgt werden können. Seit einigen Jahren wird deshalb vielerorts sehr intensiv daran gearbeitet, die vertragsärztliche Regelversorgung in den Praxen und den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit den Notaufnahmen der Kliniken und mit dem Rettungsdienst besser zu vernetzen. Ziel ist es, Hilfesuchende zur richtigen Zeit in die jeweils richtige medizinische Versorgungsebene zu steuern.
Auch auf der gesundheitspolitischen Agenda steht die Reform der Akut- und Notfallversorgung seit geraumer Zeit ganz weit oben. Ein zentraler Bausstein dabei ist die Implementierung eines standardisierten Ersteinschätzungssystems, auf dessen Grundlage zwischen den Versorgungsbereichen effizient gesteuert und hochwertig medizinisch versorgt werden kann. Vor diesem Hintergrund hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) mit SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) eine Software mitentwickelt, die ein hohes Maß an Patientensicherheit, Anwenderfreundlichkeit und medizinischer Evidenz bietet. Als Medizinprodukt der Klasse IIb gemäß europäischer Medizinprodukterichtlinie bietet die Nutzung der Software zudem eine höhere Rechtssicherheit bei Haftungsfragen rund um die Steuerung von Hilfesuchenden.
Im Rahmen seiner zweiten „SmED User Conference“ (15./16. Mai 2024) hat das Zi den aktuellen Entwicklungsstand und konkrete Anwendungspotenziale der Ersteinschätzungssoftware SmED sowie Erfahrungen aus zahlreichen Studien und Modellprojekten der intersektoralen Zusammenarbeit in der Akut- und Notfallversorgung vogestellt und mit Expertinnen und Experten aus der ambulanten wie stationären medizinischen Versorgung diskutiert.
„Etwa jeder zehnte Versicherte wendet sich einmal pro Jahr an die Notaufnahme einer Klinik. In den allermeisten Fällen reicht eine ambulante Behandlung aus. Auch mindestens ein Drittel der jährlich rund sechs Millionen Rettungsfahrten wäre nach Einschätzung von Expertinnen und Experten vermeidbar oder müsste nicht in eine Klinik eingeliefert werden. Mindestens ein Drittel bis etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten, die selbständig eine Notaufnahme aufsuchen, könnte in einer Arztpraxis ambulant behandelt werden“ sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
„Um die Notfallversorgung aber wirksam entlasten zu können, müssen diese Patienten sicher erkannt werden. Zudem muss es gelingen, ihnen zeitnah adäquate alternative Versorgungsangebote zu vermitteln. In vielen Fällen kann bereits eine telefonische Beratung oder telemedizinische Behandlung ausreichen. In anderen Fällen ist die Vermittlung in eine Praxis oder Bereitschaftpraxis angezeigt. In wieder anderen Fällen wird eine aufsuchende Behandlung entweder durch besonders geschulte medizinische Fachpersonen oder Ärztinnen und Ärzte erforderlich. Da es sich oft um Grenzfälle zwischen Akut- und Notfallversorgung handelt, benötigen diejenigen, die am Telefon, am Empfangstresen einer Notaufnahme oder im Rettungswagen mit dem Hilfeersuchen einer Patientin oder eines Patienten konftrontiert sind, strukturierte und standardisierte Entscheidungshilfen“, so von Stillfried weiter. SmED diene in diesem Kontext dazu, möglichst keine Anzeichen potenziell gefährlicher Krankheitsverläufe zu übersehen und liefere eine unmittelbare Dokumentation der erhobenen anamnestischen Information.
„Durch eine zunehmende Anzahl von Studien können wir zeigen, dass SmED als Entscheidungshilfe ein überaus hohes Maß an Sicherheit aufweist. Die Ersteinschätzung ist letztlich aber nur so gut wie die Behandlungsangebote, die Hilfesuchenden auf dieser Grundlage vermittelt werden. Die drohenden und zu großen Teilen bereits deutlich wahrnehmbaren Personalengpässe in Praxen und Krankenhäusern stellen daher besondere Herausforderungen für eine angemessene Steuerung dar. Nicht zu jeder Zeit sind überall in Deutschland freie Behandlungskapazitäten in Praxen und Krankenhäusern vorhanden“, machte von Stillfried deutlich. Einig waren sich jedoch alle anwesenden Expertinnen und Experten, dass gerade diese Herausforderung nur bewältigt werden könne, wenn künftig enger über die verschiedenen Sektoren der Versorgung kooperiert werden und hierfür verbindliche Rahmenbedingungen geschaffen würden.
Sowohl Dr. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, als auch Thorsten Schmidt, stellvertretender Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, machten in einer Podiumsdiskussion deutlich, dass ein immenser Reformdruck auf der Akut- und Notfallversorgung laste, der unbedingt nach innovativen Steuerungslösungen wie SmED verlange. Dahmen bekräftigte, dass es an der komplexen Versorgungsschnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor inzwischen kein Erkenntnismangel, sondern vielmehr ein Umsetzungsdefizit gebe. Nicht weitere Modellprojekte seien vonnöten, sondern die konkrete Organisation einer zukunftsfähigen Reform der Akut- und Notfallversorgung. Diese müsse ausgehend von veränderten Lebensrealitäten der Versicherten neue Antworten auf die Hilfeersuchen finden. Ziel der Reform sei es, Doppelstrukturen zu vermeiden. Dies gelinge nur, wenn alle Beteiligten die ihnen in einer vernetzten Struktur zugedachten Aufgaben verbindlich übernehmen. Dies verlange zusätzliche Anstrengungen, werde aber im Ergebnis dadurch belohnt, dass eine erhebliche Anzahl vermeidbarer Krankenhausbelegungstage ausgabenwirksam eingespart werden könne. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause werde ein entsprechender Referentenentwurf vorliegen. Dahmen zeigte sich zuversichtlich, dass dieses wichtige Reformpaket noch in diesem Jahr vom Bundestag beschlossen werden könne.
Schmidt verwies auf die Bedeutung der allgemeinen Verbindlichkeit von Absprachen als Erfolgsfaktor für den überfälligen Reformprozess. Regelungen nach dem Prinzip „Der eine bestimmt, der andere folgt“ seien nicht der richtige Weg, um den sich sektorübergreifend verschärfenden Ressourcenmangel in der medizinischen Versorgung wirksam eindämmen zu können. Damit würden Lasten nur verschoben. So sei der ständige ärztliche Bereitschaftsdienst oftmals ein echtes Niederlassungshindernis, so Schmidt weiter. Wichtig sei es, den Bereitschaftsdienst weiter zu professionaliseren und noch stärker auf diejenigen zu fokussieren, die diesen wirklich ausüben wollten. Die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht sollte dabei für Bereitschaftsdienste analog zu den Regelungen für die Notärztinnen und Notärzte ausgestaltet sein. Flankiert werden sollte dies zudem durch ein deutlich erweitertes telemedizinisches Versorgungsangebot sowie gegebenenfalls eine aufsuchende Versorgung durch medizinische Fachpersonen. Schmidt zeigte sich zudem überzeugt, dass die digitale Selbsteinschätzung über die 116117-Webseite oder App mit anschließender eigenständiger elektronischer Terminvereinbarung aus der künftigen Akutversorgung nicht mehr wegzudenken sei. Unabdingbar sei allerdings, die 116117 auch mit den entsprechenden finanziellen Ressourcen auszustatten, konkret mit einer gesetzlich verankerten Vorhaltefinanzierung.
Zum Hintergrund:
SmED basiert auf dem seit Jahren in der Schweiz etablierten evidenzbasierten Swiss Medical Assessment System (SMASS). SMASS wird insbesondere in der telemedizinischen Betreuung von akuten Behandlungsanliegen von Hilfesuchenden eingesetzt. Neue Abfrageprotokolle werden auf Basis internationaler Evidenz entwickelt. Medizinische Kontroversen zu den Inhalten werden von einem internationalen Panel medizinischer Expertinnen und Experten kritisch hinterfragt und bewertet.
Für Deutschland arbeitet das Zi seit 2018 mit den Entwicklern von SMASS an Modifikationen und Ergänzungen, damit die Software optimal im deutschen Kontext eingesetzt werden kann. Dafür hat das Zi auch einen wissenschaftlichen Beirat eingerichtet, der die Entwicklung von SmED fortlaufend mit seiner Expertise unterstützt. Er besteht u.a. aus Vertreterinnen und Vertretern von niedergelassenen Haus- und Fachärztinnen und -ärzten sowie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI). Ziel ist eine kontinuierliche, feedbackgetriebene Weiterentwicklung der Software unter laufender Berücksichtigung der Patientensicherheit, der Anwenderfreundlichkeit und der medizinischen Evidenz.
Weitere Informationen zu den Anwendungsgebieten und Referenzbeispielen von SmED sowie zum entgeltpflichtigen Lizenzerwerb finden Sie hier:https://smed.zi.de
Die Medieninformation zum Download.