Auf Praxiserträgen lastet weiterhin hoher Ausgabendruck // Nachholeffekte durch Corona-Pandemie mildern Umsatzeinbußen nur vorübergehend // „Steigende Personalkosten und anhaltend hohe Inflationsraten werden Praxenkollaps weiter beschleunigen“
Das in den vergangenen Jahren eher schwache Einnahmenwachstum der knapp 100.000 Arzt- und Psychotherapiepraxen hat sich im Corona-Fokusjahr 2021 durch singuläre Effekte kurzzeitig etwas verbessert. Darin schlägt sich das besondere Engagement der Praxen beim Pandemie-Management und insbesondere bei der schnellen Umsetzung der Impfkampagne nieder. 2021 stiegen die Gesamteinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 8,1 Prozent an. In den beiden Jahren zuvor hatte dieser Wert noch bei lediglich 2,9 bzw. 4,7 Prozent gelegen. Ohne den Effekt der Corona-Impfkampagne hätte das Einnahmenwachstum auch 2021 in diesem geringen Zuwachskorridor gelegen, nämlich bei gerade einmal 4,2 Prozent.
Auffällig ist auch der sprunghaft gestiegene Wert auf der Ausgabenseite: Dieser lag 2021 im Vergleich zu 2020 bei 7 Prozent. Im Vorjahr waren es nur 3,7 Prozent. Insgesamt sind die Praxiseinnahmen zwischen 2018 und 2021 um 16,4 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind jedoch auch die Gesamtaufwendungen um 16,2 Prozent angewachsen. Damit verlief die Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben zwischen 2018 und 2021 fast parallel.
Der Kostenanstieg in den Praxen hat die Entwicklung der Verbraucherpreise, die im gleichen Zeitraum im Bundesdurchschnitt um 5,1 Prozent zunahmen, um das Dreifache überschritten. Größter Kostenfaktor für die Praxen sind die Ausgaben für Personal, die im Jahr 2021 fast 56 Prozent der Gesamtaufwendungen umfassten. Von 2018 bis 2021 nahmen die Personalaufwendungen um mehr als 22 Prozent zu. Die größten Kostensprünge gab es zudem bei Aufwendungen für Wartung und Instandhaltung (+42,2 Prozent), bei Material und Labor (+24,1 Prozent) sowie bei der Miete einschließlich Nebenkosten für Praxisräume (+7,3 Prozent). Die Kostenentwicklung der Praxen lag damit systematisch über der allgemeinen Teuerungsrate.
Das sind die zentralen Ergebnisse einer Vorabinformation des Zi-Praxis-Panels (ZiPP), mit dem das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) die wirtschaftliche Lage der Arztpraxen zwischen 2018 und 2021 analysiert hat.
„Gemeinsam mit ihren hoch engagierten Praxisteams haben die niedergelassenen Haus- und Fachärztinnen und -ärzte der COVID-19-Pandemie im wahrsten Sinne des Wortes die Stirn geboten. Tag für Tag, bis an die Belastungsgrenze und oftmals auch darüber hinaus, haben die Arztpraxen ihre Patientinnen und Patienten getestet, geimpft und natürlich auch medizinisch versorgt. Wohl gemerkt: Die übliche Regelversorgung mit allem, was dazu gehörte, lief gleichzeitig ganz normal weiter. Dass die Praxen für den zusätzlichen Arbeitsaufwand eine angemessene Vergütung erhalten haben, ist selbstverständlich. Dabei lag die Vergütung einer Corona-Schutzimpfung mit 28 Euro noch weit unterhalb der Kosten einer Impfung in den Impfzentren. Diese betrug nach Rechnungshofberichten zwischen 100 und 400 Euro. Dass die Bundesregierung die Leistungen der Praxen während der Pandemie mit der Streichung der Neupatientenregelung quittiert und den Praxen dadurch 400 Millionen Euro entzogen hat, wirkt sich bis heute überaus negativ auf die Praxen aus. Für 2023 werden sie stagnierende, wenn nicht gar rückläufige Einnahmen zu verzeichnen haben, während aufgrund der hohen Inflationsrate von 7,9 Prozent im Jahresmittel die Personal- und Betriebskosten in den Praxen sprunghaft steigen. Die Corona-Sondereffekte aus dem Jahr 2021 sind damit spätestens 2023 wieder vollständig verpufft“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung gründe auf dem Fundament einer soliden wirtschaftlichen Basis der Niederlassung, so von Stillfried weiter. Die gesetzliche Krankenversicherung sei dabei die wichtigste Einnahmequelle der Praxen. Die Krankenkassen würden aber trotz der erkennbaren Personalengpässe weiterhin nur mäßig attraktive Bedingungen für die selbständige Niederlassung schaffen. Niederlassung müsse sich aber wieder lohnen:
„Ärztliche Praxisinhaberinnen und -inhaber arbeiten mit rund 49 Wochenstunden immer noch deutlich länger als Angestellte. Zudem müssen sie die wirtschaftlichen Risiken wie etwa die rasant steigenden Energie- oder Personalkosten abfedern. Vergleichen wir die selbständige Tätigkeit in der Praxis ohne Subventionseffekte aus der Versorgung der privat Versicherten, bezogen auf die eingesetzte Arbeitszeit mit dem Tariflohn eines Oberarztes mit mindestens dreijähriger Tätigkeit, bleiben im Tariflohn sogar 10 Prozent mehr Nettogehalt übrig – ohne, dass für den Oberarzt damit unternehmerische Risiken verbunden sind. Warum sollten junge Ärztinnen und Ärzte also die gesamte organisatorische, rechtliche und ökonomische Verantwortung eines Praxisbetriebs übernehmen wollen? Dass die Vergütungsbedingungen in der vertragsärztlichen Versorgung auf Kante genäht sind, merken mittlerweile auch Kliniken sowie kommunale Träger von Medizinischen Versorgungszentren. Denn diese stellen vielfach den Betrieb ein. Wer also soll künftig Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung beschäftigen? Um ein robustes und leistungsfähiges Gesundheitswesen zu erhalten, müssen hier substanzielle Änderungen angeschoben werden. Die selbständige Tätigkeit in den Praxen muss gefördert werden. Fallen die Praxen als Rückgrat der Regelversorgung aus, werden auch die Krankenhäuser diese Lücke nicht füllen können“, machte der Zi- Vorstandsvorsitzende deutlich.
Das Zi-Praxis-Panel (ZiPP)
Mit dem ZiPP erfasst das Zi seit 2010 jährlich die Wirtschaftslage von niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen und veröffentlicht dazu umfangreiche Berichte. Berücksichtigt werden die Einnahmen aus kassenärztlicher und aus privatärztlicher Tätigkeit. Die Basis bildet die steuerliche Überschussrechnung der Praxen. Diese Daten werden direkt aus den Steuerunterlagen der Praxen erhoben. Die aktuell veröffentlichten Ergebnisse beruhen auf der Befragung des Jahres 2022 und beziehen sich auf die Berichtsjahre 2018 bis 2021. An der Erhebung 2022 nahmen 3.401 Praxen teil. In der hier beschriebenen Längsschnittanalyse wurden die Angaben von 2.614 Praxen berücksichtigt, die für alle vier Jahre über vollständige Finanzangaben verfügen. Die abschließenden Ergebnisse werden zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen des Jahresberichts zur Erhebungswelle 2022 veröffentlicht.
Die ZiPP-Vorabinformation zum Jahresbericht 2022 und die Medieninformation zum Download.