Expert:innen aus Wissenschaft, Politik und Medien diskutieren Transformationspfade der Gesundheitsversorgung // „Echtzeit-Surveillance aus Akut- und Notfallversorgung öffnet neue Potenziale für Pandemie- und Versorgungsmanagement“
Die Corona-Pandemie ist zwar noch nicht beendet. Ein Rückblick auf die letzten zweieinhalb Jahre erlaubt es aber, Lösungsstrategien in den Blick zu nehmen, mit denen ähnlichen Herausforderungen in der Zukunft begegnet werden kann. Die Pandemie fällt – zumindest in den Industriestaaten – in eine Phase der Gesundheitspolitik, bei der die Frage im Vordergrund steht, wie Benachteiligungen beim Zugang zur medizinischen Versorgung beseitigt werden können. Daher ist die Forschung in den Industriestaaten aufgerufen, genauer zu beleuchten, wie in den komplexen Gesundheitssystemen unerwünschte Variationen oder Lücken in der medizinischen Versorgung entstehen. Die Pandemie hat den Druck enorm erhöht, sehr rasch wissenschaftliche Grundlagen für politische Entscheidungen zu schaffen, um gesundheitlichen Schutz, soziale Teilhabe und gesamtwirtschaftliche Risiken gegeneinander abwägen zu können. Damit ist die Bedeutung digitaler Echtzeit-Informationen zum Infektionsgeschehen insgesamt und zur Akut- und Notfallversorgung erkannt worden. Einhellig ist als Lehre aus der Corona-Pandemie festgehalten worden: Bevölkerungsbezogene Erhebungen zur Krankheits- und Versorgungslage sollten fortwährend aufbereitet und Veränderungen wichtiger Versorgungsindikatoren transparent gemacht werden.
„Echtzeit-Daten bieten die Chance aktuelle Entwicklungen so frühzeitig zu erkennen und in die Zukunft zu projizieren, dass wirksame Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden können. Epidemiologische Register oder digitale Datenplattformen können dafür valide Instrumente bieten. Mittels Machine Learning können aus Datenanalysen oftmals handlungsrelevante Empfehlungen abgeleitet werden. Dadurch ergeben sich Schnittstellen zwischen Forschung und Anwendung, etwa im Pandemiemanagement oder in der Behandlung von Patientinnen und Patienten.“ Dies sagte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, gestern Morgen anlässlich der Eröffnung des zweitägigen Zi-Congresses „Versorgungsforschung 2022“ in Berlin. Beispiele für entsprechende Digitalisierungsinitiativen seien das Register zur Verfügbarkeit und Belegung von Intensivbetten sowie das vom Zi aufgesetzte Berichtswesen über Daten aus der medizinischen Ersteinschätzung für Anfragen zu akuten Gesundheitsbeschwerden an die Rufnummer 116117, so von Stillfried weiter.
Künftig werde die Abschätzung der Inzidenzentwicklung von COVID-19, aber auch Influenza, anhand der syndromischen Surveillance ein höheres Gewicht bekommen, bekräftigte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Prof. Dr. Lothar Wieler. Wichtige Vorteile seien die erregerübergreifende Erfassung akuter Atemwegserkrankungen und die enge Verknüpfung der erhobenen syndromischen Daten mit der virologischen Surveillance. Hierzu könne auf bereits bestehende Datenerhebungen und Meldestrukturen zurückgegriffen werden. Diese Surveillance-Systeme bildeten einen bundesweiten Trend ab und erlaubten den Vergleich der Krankheitslast und -schwere durch verschiedene respiratorische Erreger, so Wieler weiter.
Zum Abschluss des ersten Kongresstages diskutierten die Bundestagsabgeordneten Dr. Georg Kippels (CDU), Dr. Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) und Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) über gesundheitspolitische und epidemiologische Lehren aus der COVID-19-Pandemie. Einigkeit herrschte darüber, dass es kaum einen Mangel an verfügbaren Versorgungsdaten zum Pandemiemanagement gegeben habe, wohl aber eine eklatante Lücke in der Verschränkung und gemeinsamen Betrachtung valider Datenkörper. Mit einem wie bisher weitgehend unkoordinierten Sammeln und Veröffentlichen von Gesundheitsdaten könne keine evidenzbasierte Politik-Strategie entwickelt werden. Ein neu zu formierendes Bundesinstitut für Public Health als zentrale Datenauswertungs- und Krisenkommunikationsinstanz könne hier gegebenenfalls Abhilfe schaffen. Neben besserer Kommunikation sei vor allem datenbasierter Erkenntnisgewinn entscheidend. Das Bundesinstitut müsse ein Forschungsdatenzentrum sein, das dafür sorgt, dass seine Erkenntnisse auch über die Infektionssurveillance hinaus für die Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung insgesamt genutzt werden können. Im Pandemiefall könne das Institut zudem eine strukturierte Kommunikation unterstützen.
Zi-Dashboard mit aktuellen Ergebnissen aus der Strukturierten medizinischen Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) im Rahmen von Anrufen bei der Rufnummer 116117:
https://smed.ziapp.de/
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