Zi: Portalpraxen-Pläne der Politik realitätsfern – weniger Krankenhäuser in der Notfallversorgung und strengere Aufnahmekriterien notwendig
In der Diskussion um überfüllte Notfallaufnahmen hat das Zi politische Pläne als realitätsfern bewertet, an allen Krankenhäusern Portalpraxen zur Entlastung einzurichten. „Es gibt gar nicht genug niedergelassene Ärzte, um solche Portalpraxen durchgehend und an allen Klinikstandorten zu besetzen“, erklärt der Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, und verweist auf aktuelle Modellrechnungen seines Instituts.
Überfüllte Notaufnahmen verursachen Kosten in Milliardenhöhe
Immer häufiger ziehen Patienten die Notaufnahmen von Krankenhäusern der Arztpraxis vor – auch ohne Einweisung und auf Eigeninitiative. Ein Drittel dieser Selbsteinweisungen kommt während regulärer Praxisöffnungszeiten in die Klinik. Viele davon sind keine echten Notfälle und verursachen dadurch erhebliche, unnötige Kosten. Dem wollen Politiker nun mit vorgelagerten Anlaufstellen gegensteuern, die Betroffenen Orientierung beim weiteren Behandlungsweg liefern. Von den Kassenärztlichen Vereinigungen werden bereits an vielen Orten in Kooperation mit Kliniken Portalpraxen eingerichtet. Das Zi wendet sich aber gegen übertriebene Erwartungshaltungen bei Politik und Krankenkassen.
Zi-Modellrechnung: Es gibt nicht genug Ärzte für Portalpraxen
Das Zi hat nun ausgerechnet, was es bedeuten würde, an allen Krankenhäusern eine Portalpraxis oder gar einen fachspezifischen Bereitschaftsdienst anzubieten. An der Notfallversorgung nehmen in Deutschland rund 1.600 Klinikstandorte teil. Um diese Praxen im Zeitraum zwischen 07.00 und 23.00h zu besetzen, wäre ein Zwei-Schicht-Betrieb von je 8 Stunden notwendig. Dies würde bedeuten, dass jeder der 55.400 Hausärzte zusätzlich zu den bestehenden Bereitschaftsdiensten im Schnitt 21 Dienste im Jahr, also jede zweite Woche eine Schicht in einer Portalpraxis absolvieren müsste. „Eine solche Zusatzbelastung ist angesichts des ohnehin bestehenden Mangels an hausärztlichem Nachwuchs weder jetzt noch künftig durchsetzbar“, sagte von Stillfried. Bei einem durchschnittlichen Stundenhonorar von 100 Euro würde hierfür rechnerisch ein zusätzlicher Honorarbedarf von knapp einer Milliarde Euro entstehen. Berücksichtigt man auch die Sach- und Personalkosten für den Betrieb einer Portalpraxis könnten die zusätzlichen Gesamtkosten rund 1,7 Milliarden Euro betragen.
In der kinderärztlichen Versorgung wäre ein solches Angebot ungeachtet der Kosten gar nicht zu leisten: Es gibt schlicht zu wenig Kinderärzte. Jeder der 7.400 niedergelassenen Kinderärzte müsste dafür drei Mal wöchentlich eine zusätzliche Schicht übernehmen. Um die Zahl der Schichten auf eine pro Monat zu reduzieren, wären etwa 16.000 zusätzliche Kinderärzte erforderlich. Damit wäre das Versorgungssystem überfordert, denn selbst an den Krankenhäusern sind momentan nur etwa 6.000 Kinderärzte tätig.
Nur mit deutlicher weniger Krankenhäusern sind Ziele erreichbar
Wie Gesundheitssystemforscher Prof. Dr. med. Reinhard Busse von der TU Berlin gezeigt hat, käme Deutschland mit 300 bis 500 Krankenhäusern aus, wenn die Standorte mit Notfallversorgung ähnlich konzentriert würden wie in Dänemark. Damit wollen die Dänen die Qualität der Behandlung erhöhen. Würden dementsprechend bundesweit rund 300 fachspezifische Portalpraxen eingerichtet, entfiele auf die Hausärzte im Schnitt eine zusätzliche Schicht pro Quartal. Zudem wäre ein fachgebietsspezifischer Bereitschaftsdienst für weitere Fachgebiete grundsätzlich leistbar. Allerdings zeigt die Modellrechnung, dass für die spezialisierten Fachgebiete mit einer geringeren Anzahl niedergelassener Ärzte selbst dann noch jede Vertragsärztin und jeder Vertragsarzt mindestens ein- bis zweimal wöchentlich eine zusätzliche Schicht leisten müssten. Die Gesamtkosten würden rund 3,4 Milliarden Euro betragen. Geht man hingegen davon aus, dass praktisch maximal ein zusätzlicher Bereitschaftsdienst pro Monat umsetzbar wäre, dann könnten bundesweit etwa 90 bis 100 Standorte für fachärztliche Bereitschaftsdienstzentren realisiert werden. Die zusätzlichen Kosten für solche fachärztlichen Bereitschaftsdienstzentren lägen nach Modellrechnung des Zi bei rund einer Milliarde Euro jährlich.
Ideal-Krankenhaus mit ambulantem und stationärem Stockwerk
„Diese Modellrechnung zeigt, dass die Einrichtung von Portalpraxen mit einer fachspezifischen durchgehenden Besetzung an jedem Krankenhaus ein gesundheitspolitischer Wunschtraum ist“, erklärt Zi-Geschäftsführer Dr. von Stillfried. Erforderlich sei jetzt vielmehr eine Konzentration der Angebote in der Notfallversorgung auf wenige ausgewählte Standorte. Dafür benötigen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Planungshoheit. Langfristig wäre ein Strukturwandel denkbar: „Ein fachspezifisches ambulantes Versorgungsangebot an den Hauptorten der Inanspruchnahme kann ansatzweise nur dann gelingen, wenn die Versorgungsstrukturen schrittweise so verändert werden, dass künftig ambulante Zentren an ausgewählten Klinikstandorten eine qualifizierte Versorgung im Normalbetrieb statt im Bereitschaftsdienst anbieten.“
„Das symbolische Erdgeschoss des Krankenhauses würde somit der ambulanten Behandlung gemäß Planung der KVen gewidmet. Soweit erforderlich, würde die stationäre Behandlung im ersten Stock beginnen, wohin die Patienten nur noch mit ärztlicher Einweisung gelangen könnten,“ fasst der Zi-Geschäftsführer das Konzept zusammen. Um dies umzusetzen, müssten Kassenärztliche Vereinigungen und die Krankenhausplaner auf Länderebene eng zusammenarbeiten. Krankenhausstandorte ohne entsprechende Portalpraxis oder ambulantes Versorgungszentrum dürften an der Notfallversorgung nicht mehr oder nur eingeschränkt teilnehmen. Für sie würde künftig streng geregelt, wie viele Patienten sie überhaupt aufnehmen dürfen – um so den Ansturm auf die Kliniken zu mindern.
Die Tabellen der Modellrechnung finden Sie <link file:1155 _blank>hier.