Arbeiten am Fundament: Deutschland braucht eine Infrastruktur für Gesundheitsdaten
Mehr als 100 Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutieren bei einer Zi-Tagung über Möglichkeiten der digitalen Gesundheitswirtschaft. Gebraucht werde ein rechtliches Fundament für den Datenaustausch, so die einhellige Forderung – verbunden mit dem Angebot, an dessen Bau mitzuwirken.
Elektronische Krankenakte, Abrechnungsdaten oder Fitnesstracker – die digitale Welt hat längst auch die Medizinbranche durchdrungen. Wie die wachsende Datenmenge bestmöglich für die Versorgungsforschung in Deutschland genutzt werden kann, haben mehr als 100 Wissenschaftler aus Medizin und IT sowie Praxisvertreter am Donnerstag, 07. April 2016 bei einer Fachtagung in Berlin diskutiert. Auf Einladung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) erörterten die internationalen Teilnehmer unter dem Motto „Digital Health – neue Optionen für die Versorgungsforschung?“ Möglichkeiten, Datenbestände zu verzahnen und so deren Potenzial überhaupt erst nutzen zu können.
„Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Pflegeheime – bislang erfassen alle getrennt voneinander zahlreiche Daten. Sie wissen kaum voneinander und tauschen sich nicht aus. Was wir dringend bräuchten, wäre eine Art Forschungsdatenportal“, erklärte der zuständige Zi-Fachbereichsleiter Prof. Dr. Jürgen Stausberg. So könnten relevante Schlüsse für Prävention, Diagnostik und Therapie gezogen werden; außerdem würde Parallelarbeit vermieden. Voraussetzung seien eine entsprechende Infrastruktur und gesetzliche Regelungen, um Daten und Persönlichkeitsrechte schützen, so der Mediziner weiter.
Gassen: Deutschland braucht Daten-Infrastruktur
Der Vorstandsvorsitzende von Zi und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, verwies auf Fortschritte und Leistungen im Ausland. Er forderte den Gesetzgeber auf, rechtliche Grundlagen für eine effiziente Datennutzung zu schaffen. „Ohne eine moderne Infrastruktur bleibt die Versorgungsforschung in Deutschland hinter ihren Möglichkeiten weit zurück. Und dies würde bedeuten, dass Deutschland im Bereich dieser Forschung mittelfristig zum Importland würde“, sagte Gassen.
Diesen Appell unterstrichen Experten aus Dänemark, Australien und den USA – Länder, in denen die Verwertung von Gesundheitsdaten deutlich weiter fortgeschritten ist. In Dänemark etwa werden Daten über eine unverwechselbare Sozialversicherungsnummer verknüpft, zentrale Anwendungen und Sicherheitsstandards steuern den Austausch zwischen den Akteuren des Gesundheitswesens. Das System gründet auf einer langen nordischen Tradition, persönliche Daten auch etwa zu Einkommen und Besitz zu erfassen und weitaus transparenter damit umzugehen als in Deutschland.
Wissenschaftler in den USA wiederum fokussieren sich derzeit auf eine bessere Zusammenarbeit mit Unternehmen zur Nutzung von Daten, die außerhalb von Gesundheitseinrichtungen entstehen. Derzeit bauen sie mit dem Projekt DELPHI eine Plattform auf, um Daten verschiedener Art und Herkunft anlass- und krankheitsbezogen zusammenzuführen und auszuwerten. Herausfordernd ist dabei auch die Dynamik von Umfeld und Forschungsgegenstand, wie Prof. Dr. Kevin Patrick von der University of California/San Diego betonte.
Zi bietet Mitarbeit an Aufbau von zentraler Datenbank an
Für die Weiterentwicklung in Deutschland sieht das Zi vor allem im australischen Modell Anknüpfungspunkte. Dort baut das vom Staat unterstützte und universitär geführte „Population Health Research Network“ (PHRN) eine Infrastruktur auf, um unterschiedliche öffentliche Datenbestände über Sektoren, Regionen und Forschungsprojekte hinweg miteinander zu verknüpfen. Über die Auswertung der verknüpften Datenbestände entstehen neue Erkenntnisse zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung und zur Gesundheitsversorgung. Kernelement der Infrastruktur ist ein Verfahren zur Zusammenführung von Informationen einer Person aus mehreren Quellen ohne Verletzung von Vertraulichkeit und Sicherheit (Data Linkage). Das PHRN wurde vom australischen Forschungsministerium initiiert und finanziert sich aus staatlichen Fördergeldern.
„Ein solches fundamentales Datenprojekt käme den Möglichkeiten hierzulande sehr nah. Wir als Forschungsinstitut hegen großes Interesse, an seinem Aufbau mitzuwirken. Um Effektivität und Effizienz der Versorgung besser verstehen zu können, brauchen wir dringend einen pseudonymisierten Abgleich von Routine-, Alltags- und klinischen Daten“, sagte Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried.
Im Anschluss an das Zi-Forum traf sich das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung (DNVF) zur ersten und konstituierenden Sitzung für eine Arbeitsgruppe „Digital Health“. „Der digitale Umgang mit Daten ist zu einer der zentralen Fragestellungen in der Gesundheitswirtschaft geworden. Wir Versorgungsforscher möchten daran mitwirken, auf der Basis einer validen Methodik eine Rechtsgrundlage für die Nutzung und Verarbeitung dieses Daten-Rohstoffs zu entwickeln“, sagte der DNVF-Vorsitzende Prof. Dr. Edmund Neugebauer.
<link>Zu den Tagungsunterlagen