Zunehmende Ambulantisierung der medizinischen Versorgung muss sich in der Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten widerspiegeln // „Politik sollte zentrale Punkte aus ‚Masterplan Medizinstudium 2020‘ endlich umsetzen“
Bereits im März 2017 hat die Bundesregierung den „Masterplan Medizinstudium 2020“ vorgestellt. Darin wird der Ambulantisierung gezielt Rechnung getragen. Angehende Ärztinnen und Ärzte sollen neben den bisher im Mittelpunkt der Ausbildung stehenden hochspezialisierten Fällen an Universitätskliniken auch Diagnostik und Behandlung von Patientinnen und Patienten mit alltäglichen Erkrankungen in der ambulanten und stationären Praxis kennenlernen. Studierende sollen dazu im Praktischen Jahr ein Quartal in der ambulanten Versorgung verbringen. Die Allgemeinmedizin soll in der Ausbildung weiter gestärkt werden, indem allgemeinmedizinische Inhalte in der Lehre möglichst ab dem ersten Semester über das gesamte Studium hinweg vermittelt werden und Allgemeinmedizin auch im Staatsexamen geprüft wird.
„Mit dem Masterplan liegt seit nunmehr gut sechs Jahren eine fundierte Blaupause für eine längst überfällige Reform der Approbationsordnung vor. Die Richtung ist klar: Wir brauchen ein deutlich stärker praxisorientiertes Studium mit erhöhten Lehranteilen in der ambulanten Versorgung. Die Allgemeinmedizin steht dabei im Vordergrund. Aber auch in vielen spezialisierten Fachrichtungen bildet das Geschehen in Unikliniken und Krankenhäusern nur noch einen Teil des Fachspektrums ab. Um die Medizinstudierenden damit vertraut zu machen, sollten sie frühzeitig, möglichst vor dem Praktischen Jahr, Einblick in die Fragestellungen und Arbeitsweisen in der ambulanten Medizin erhalten. Bund und Länder müssen den Streit über die Verteilung der Mehrkosten der Studienreform jetzt beilegen, dann kann ab 2027 eine reformierte, auf die Belange der künftigen medizinischen Versorgung besser zugeschnittene Ausbildung beginnen.“ Dies sagte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, gestern zum Abschluss des Zi-Forums „Ärztliche Aus- und Weiterbildung in der ambulanten Versorgung“ in Berlin.
Die schon vor der Corona-Pandemie spürbaren Tendenzen zur Ambulantisierung der Medizin hätten sich seitdem weiter verstärkt, so von Stillfried. Diese Dynamik werde sich auch durch die anstehende Krankenhausreform und neue Perspektiven der sektorengleichen Vergütung zunehmend beschleunigen – mit weitreichenden Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung. So habe das Bundesgesundheitsministerium mit der Verordnung zur Ausgestaltung der Hybrid-DRGs gleich einen Katalog weiterer Leistungen angelegt, der in vielen Fachgebieten dafür sorgen könnte, dass wesentliche Inhalte der Weiterbildungsordnung künftig kaum noch am Krankenhausbett erlernt werden könnten. Besonders betroffen wäre etwa das Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Schon heute stünden den rund 440.000 stationär behandelten Fällen des Fachgebiets rund 21 Millionen ambulante Behandlungen gegenüber. Je nach weiterer Umsetzung der sektorengleichen Vergütung in diesem Fachgebiet könnten perspektivisch bis zu etwa 60 Prozent der heute noch stationär erbrachten Leistungen unter die sektorengleiche Vergütung und damit in die ambulante Versorgung fallen.
„Erfreulicher Weise sieht die aktuelle Weiterbildungsordnung bereits die Möglichkeit vor, dass die zur fachärztlichen Spezialisierung notwendigen Kompetenzen auch in der ambulanten Versorgung erworben werden können. Somit ist davon auszugehen, dass durch die Weiterbildung zunehmend auch notwendige Praxisnachfolger:innen gefunden werden können. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen sowohl für die Weiterzubildenden als auch für die Weiterbildenden dafür noch weiter verbessert werden“, erklärte von Stillfried.
Die Weiterbildung in Arztpraxen habe zuletzt bereits deutlich zugenommen. Auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bildeten jetzt verstärkt weiter, bekräftigte Dr. Bernhard Gibis, Leiter des Dezernats Sicherstellung und Versorgungsstruktur in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). So habe es 2015 nur etwas über 9.000 Niedergelassene mit einer Weiterbildungsbefugnis gegeben, 2020 seien es bereits mehr als 16.000 gewesen. Die Zahl der Weiterbildungsassistent:innen im ambulanten Bereich habe sich ähnlich dynamisch entwickelt. Wichtig seien auch Weiterbildungsverbünde. Gibis zeigte sich davon überzeugt, dass diese perspektivisch auch in der fachärztlichen Versorgung gebraucht würden. Ein Standort allein könne angesichts fortschreitender Spezialisierung kaum mehr eine umfassende Weiterbildung leisten. Dies erfordere die Organisation von Verbünden und Rotationen sowie die Förderung didaktischer Kompetenzen der Weiterbildenden. Dies werde in der Allgemeinmedizin bereits vorgelebt. Es sei daher eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, wie man fachärztliche Weiterbildung auch in anderen Fachrichtungen fördern könne.
Ein zentrales Thema sei in diesem Zusammenhang auch die Finanzierung der Kosten für die ambulante ärztliche Weiterbildung, so Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Praxisinhaber:innen könnten nicht aus reinem Altruismus die Zeit für die Vermittlung der Weiterbildungsinhalte investieren und zugleich das Gehalt für den Weiterbildungsassistenten selbst stemmen. Es müssten fachgruppenspezifische Lösungen gefunden werden, damit Leistungen, die von Weiterbildungsassistenten erbracht werden, auch von den Krankenkassen finanziert werden. Wenn die ärztliche Weiterbildung, als Folge der Krankenhausreform, aber auch der vermehrten ambulanten Leistungserbringung, zu einem größeren Anteil als bislang im ambulanten Bereich erfolge, müsse dieser „große Knackpunkt“ gelöst werden, machte Bergmann abschließend deutlich.
Den Video-Mitschnitt des Zi-Forums sowie die Folienpräsentationen der Referierenden finden Sie hier.
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