Immer wieder wird von Gesundheitsexpertinnen und -experten behauptet, es gäbe keine oder deutlich zu wenige kurzfristig buchbare Termine in den Arztpraxen in Deutschland. Dies wird insbesondere dann angeführt, wenn darüber diskutiert wird, ob Patientinnen und Patienten, die sich mit weniger dringlichen Behandlungsanlässen in Notaufnahmen vorstellen, von dort in Praxen weitergeleitet werden könnten. Doch die Realität ist komplexer. Für viele Menschen stellt sich die Lage unübersichtlich dar. Viele Praxen sind tatsächlich am Limit, immer mehr Haus- und Kinderarztpraxen können keine neuen Patientinnen und Patienten mehr annehmen. Doch es gibt inzwischen auch andere (digitale) Wege, kurzfristig an geeignete Haus- und Facharzttermine zu kommen.
Gerade jüngere Menschen in urbanen Zentren sind es heute gewohnt, für alle Bedürfnisse und Fragen des Lebens ein geeignetes Online-Angebot zu finden. Vielen ist aber nicht bekannt, dass es ein solches Portal für die vertragsärztliche Versorgung bereits gibt. Wer glaubt, dringend eine ärztliche Behandlung zu benötigen, kann sich rund um die Uhr an die Rufnummer 116117 der Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigungen oder an die Webseite www.116117.de wenden. Dort wird der Versorgungsbedarf ersteingeschätzt und Hilfesuchenden eine angemessene Versorgung vermittelt.
„Das Angebot wird bisher bei weitem nicht ausgeschöpft: Von 2,6 Millionen Terminen, die die Arztpraxen in den letzten 12 Monaten den Terminservicestellen gemeldet haben, sind nur 1,2 Millionen vermittelt worden. Nicht selten heißt es, dass gerade in den Ballungsräumen die Terminhürde besonders hoch sei. Doch immerhin kommen fast 300.000 der bundesweit 2,6 Millionen gemeldeten Terminangebote seit Ende Mai 2023 allein aus Berlin. Das sind immerhin 11,5 Prozent. Für den 30. Mai 2024 waren über 1.300 freie Termine in Berlin gemeldet, davon sind lediglich gut 800 gebucht worden“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried.
Es gäbe derzeit eine Mischung aus einer zunehmend gefühlten Terminknappheit und einem von den Versicherten nicht genutzten Terminangebot bei den Terminservicestellen, so von Stillfried weiter. Immerhin fänden nach der jüngsten Versichertenbefragung der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) von 2021 noch 58 Prozent der Versicherten einen Arzttermin am gleichen Tag oder binnen drei Tagen. „Viele wissen aber eben nicht, dass die 116117 wirklich schnell und gut helfen kann, wenn dies nicht gelingt. Eine stärkere Nutzung der Terminservicestellen und eine finanzielle Förderung der bereitgestellten Termine kann auch dazu führen, dass mehr Praxen mehr Termine dort melden. Insgesamt kann das die Praxen substanziell entlasten, da die Praxisteams immer noch deutlich zu viel Zeit mit der Terminkoordination verbringen. Hier ist eine effiziente Terminpriorisierung absolut sinnvoll, da Akuttermine nur nach medizinischer Ersteinschätzung vergeben werden. Außerdem bauen viele Kassenärztlichen Vereinigungen jetzt auch ein Angebot von Videosprechstunden aus, das online über Terminservicestellen buchbar wird“, machte der Zi- Vorstandsvorsitzende deutlich.
Eine bittere Realität sei aber auch, dass immer weniger ärztliche Kapazität in den Praxen verfügbar sei. Ein immer weiter steigender Altersdurchschnitt bedinge, dass immer mehr Praxisinhaberinnen und -inhaber in den Ruhestand gehen. Vor allem auch wegen des Abbaus von Medizinstudienplätzen in den 1990er Jahren blieben immer öfter freiwerdende Praxissitze unbesetzt. All dies wirke verknappend auf die Verfügbarkeit von Terminen. Zugleich steige der Bedarf: Während die Fallzahl in den Krankenhäusern postpandemisch immer noch erheblich geringer ist als vor der Pandemie (2019: 19,8 Millionen, 2022: 17,2 Millionen), sind die Fallzahlen in den Praxen immer weiter gestiegen (2019: 569,2 Millionen, 2022: 577,7 Millionen). Dies führt dazu, dass auch über die 116117 nicht immer alle Terminwünsche erfüllt werden können. So weist die Kassenärztliche Vereinigung Berlin darauf hin, dass Terminknappheiten insbesondere beim Zugang zur Psychotherapie bestehen. Aber auch in der fachärztlichen Behandlung etwa durch Neurologen und Psychiater, Gastroenterologen, Endokrinologen, Rheumatologen und Pneumologen gibt es Engpässe. Für die betroffenen Facharztgruppen bestehen daher in Berlin Terminmeldepflichten gegenüber der 116117. Dennoch übersteigt die Nachfrage bei der 116117 der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin das entsprechende Terminangebot.
„Eine weitere Konzentration von Fachärztinnen und Fachärzten an Kliniken verbessert daher sicher nicht den Zugang der Bevölkerung zur fachärztlichen Versorgung. Zudem findet ein dynamischer Strukturwandel statt: Immer mehr jüngere Ärztinnen und Ärzte entscheiden sich gegen die Selbständigkeit und lassen sich zunächst anstellen, ganz überwiegend in Teilzeittätigkeit, sodass bei gleicher Zahl der in den Praxen tätigen Medizinerinnen und Mediziner weniger ärztliche Arbeitszeit zur Verfügung steht. Außerdem müssen diese immer mehr Arbeitszeit darauf verwenden, bürokratische Auflagen abzuarbeiten und haben daher immer weniger Zeit für die Patientinnen und Patienten. Hier ist einmal mehr die Bundesregierung gefordert, die Arbeitsbedingungen für Selbständige zu verbessern. Kurzum: weniger Bürokratie, weniger Auflagen, weniger dysfunktionale Praxis-IT“, forderte von Stillfried.
Die Hinweise der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin an die Praxen zur gesetzlichen Termin-Meldepflicht für das zweite Quartal 2024 finden Sie hier:
https://www.kvberlin.de/fuer-praxen/aerztlicher-bereitschaftsdienst/terminservice-der-kv
Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Freie bzw. gebuchte Termine, die die Arztpraxen den Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen seit dem 31. Mai 2023 über die 116117 gemeldet haben
Datenquelle:
116117 Termin-Dashboard der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi)