Ein Blick auf die Antibiotika-Verordnungszahlen für das Jahr 2023 scheint den Eindruck zu bestätigen, dass der langjährige Trend sinkender Verordnungszahlen gebrochen ist. Tatsächlich sind von den in Deutschland niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten über das gesamte Jahr 2023 hinweg mehr Antibiotika verordnet worden als im letzten präpandemischen Jahr 2019. Doch sind die Vertragsärztinnen und -ärzte tatsächlich sorgloser im Umgang mit diesen wichtigen Wirkstoffen geworden? Eine differenzierte Analyse der vertragsärztlichen Verordnungszahlen liefert wichtige Erkenntnisse:
Zu Beginn des Jahres 2023 lagen die Verordnungszahlen noch relevant unter denen von 2019. Zu diesem Zeitpunkt ist auch eine vergleichbare Inzidenz grippeähnlicher Erkrankungen (Fieber mit Husten oder Halsschmerzen) durch das Robert Koch-Institut (GrippeWeb) verzeichnet worden. Ab März (Ausnahme Juni) haben die Neuerkrankungszahlen für 2023 die des Jahres 2019 mit bis zu 86 Prozent deutlich überstiegen. Die Antibiotikaverordnungen gegen Atemwegsinfektionen folgen zeitlich den höheren Erkrankungsinzidenzen. Der Anstieg der entsprechenden Verordnungen fällt jedoch niedriger aus als die beobachteten Inzidenzanstiege. Vielmehr zeigen die parallel gestiegenen Häufigkeiten der Testungen auf C-reaktives Protein (+7 Prozent) bzw. auf Streptokokken (+18 Prozent), dass die Verordnungsentscheidung sorgfältig abgewogen worden ist. Das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Auswertung der vertragsärztlichen Arzneiverordnungsdaten für die Jahre 2019 bis 2023, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) heute veröffentlicht hat.
Ein weiterer Hinweis auf eine veränderte Krankheitslast ist die Tatsache, dass zwar Antibiotika, die in der Regel für Atemweginfektionen eingesetzt werden, häufiger verordnet worden sind, nicht aber Antibiotika, die speziell bei unkomplizierten Harnwegsinfekten eingesetzt werden. „Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte verordnen also nicht generell mehr Antibiotika als vor der Corona-Pandemie. Alle Anhaltspunkte sprechen dafür, dass Verordnungen weiterhin vorwiegend in jenen Fällen erfolgen, in denen es medizinisch indiziert ist“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Auch der Blick ins europäische Ausland stütze diese These. „Höhere Verordnungszahlen im Jahr 2023 sind nämlich keineswegs ein deutsches Phänomen: 60 Prozent der Länder, die für 2019 und 2023 Daten für den ambulanten Sektor an das European Surveillance of Antimicrobial Consumption Network (ESAC-Net) übermittelt haben, hatten 2023 höhere Verordnungszahlen. Dies gilt auch für absolute Niedrigverordnungsländer wie die Niederlande“, so von Stillfried weiter.
Bei schwereren bakteriellen Infektionen sind Antibiotika ein unverzichtbarer Bestandteil der Therapie. Allerdings ist ihre Wirksamkeit durch die zunehmende Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen gefährdet. In den letzten Jahren ist daher ein verstärktes Augenmerk darauf gerichtet worden, den Antibiotikagebrauch durch gezielten Einsatz konsequent zu reduzieren. Für den ambulanten Bereich sind dabei insbesondere die Infektionen der oberen Atemwege von großer Bedeutung, da hiervon besonders viele Versicherte betroffen sind. Deshalb engagieren sich die kassenärztlichen Vereinigungen in Innovationsfonds-Projekten des Gemeinsamen Bundesausschusses wie etwa ElektRA (Elektive Förderung Rationaler Antibiotikatherapie), um die Ärztinnen und Ärzte bei der rationalen Verordnungsentscheidung zu unterstützen.
Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Entwicklung der Antibiotika-Verordnungen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland 2019-2023 (differenziert nach spezifischen Verordnungen für Atemwegs- bzw. Harnwegsinfektionen)
Datenbasis:
Arzneiverordnungsdaten für die Jahre 2019-2023 gemäß § 300 SGB V
Die Meldung und die Grafik zum Download.
Grafik des Monats
Februar 2025
Hohe Krankheitslast Ursache für Anstieg bei Antibiotika-Verordnungszahlen 2023 // Trend zu höherem Antibiotikaverbrauch 2023 auch in anderen EU-Ländern deutlich erkennbar // „Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verordnen Antibiotika weiterhin angemessen“

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Daniel Wosnitzka
Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher