Lieferengpässe mit Arzneimitteln sind in den vergangenen Jahren zu einem empfindlichen Dauerthema in der vertragsärztlichen Versorgung von Patientinnen und Patienten geworden. Einen brisanten Höhepunkt erreichten die Lieferengpässe im Dezember 2022. Damals dokumentierten die Apotheken für rund sechs Millionen gesetzlich Versicherte die Nichtverfügbarkeit des nach Rabattvertrag abzugebenden Präparats. Dies waren 24 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit mindestens einer Arzneimittelverordnung. Im Januar 2023 lag dieser Wert dann sogar bei 25 Prozent. In diesem Zeitraum waren insbesondere Kinderarzneimittel (z.B. Fiebersäfte) und Antibiotika von Lieferengpässen betroffen. Dies hatte zu einer erhöhten medialen Berichterstattung und damit zu verschärftem politischen Handlungsdruck geführt. Es wurde deutlich, dass sich die Zahl der Arzneimittel-Hersteller weiter reduziert hatte und die verbliebenen oftmals aus Kostengründen in Asien produzieren. Häufig wird nur bei einem Hersteller eingekauft, der möglichst preisgünstig anbietet. Wenn dann eine Lieferkette unterbrochen wird oder der Hersteller ausfällt, fehlt in der Konsequenz das Material für die sich daran anschließende Produktion. Als Reaktion darauf hatte der Deutsche Bundestag 2023 das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) verabschiedet, das Ende Juli 2023 in Kraft trat.
Ziel des Gesetzes ist es, die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln kurz- und langfristig zu stärken, insbesondere die Verfügbarkeit von Kinderarzneimitteln zu verstetigen sowie die Antibiotikaherstellung in der Europäischen Union zu sichern. Zusätzlich wurde im Zuge des Pflegestudiumstärkungsgesetzes (PflStudStG) die Möglichkeit geschaffen, anstelle eines nicht lieferbaren Fertigarzneimittels eine wirkstoffgleiche Rezeptur oder eine andere Darreichungsform abzugeben. Damit sollte vor allem den im Jahr 2023 hochproblematischen Engpässen bei Fiebersäften begegnet werden. Deren Verfügbarkeit hat sich jedoch wieder stabilisiert, so dass das Ausweichen auf eine Rezeptur von Januar bis Juli 2024 in weniger als 1.400 Fällen notwendig war.
Derzeit sind mehr als drei Millionen Versicherte von Arzneimittellieferengpässen betroffen. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung der vertragsärztlichen Arzneiverordnungsdaten für die Jahre 2022 bis 2024, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) heute veröffentlicht hat.
„Die mit der Sonder-Pharmazentralnummer dokumentierten Engpässe haben Ende des dritten Quartals 2024 wieder das Niveau von Anfang 2022 erreicht. Kurzum: Das ALBVVG hat keinen nachhaltigen Effekt“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Auch ein Blick auf die Lieferengpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zeige keinen positiven Effekt, so von Stillfried weiter. Nach wie vor seien dort über 500 Präparate gelistet.
„Für einige Lieferengpässe stehen ausreichend Alternativen zur Verfügung. Andere hingegen verschlechtern die Versorgungslage der betroffenen Versicherten und führen zu hohen Arbeitsaufwänden in Arztpraxen, etwa durch intensive Beratung bzw. Umstellung der Therapie. Auch bei einer Gruppe von Diabetesmedikamenten, den GLP-1-Rezeptoragonisten, bleibt die Versorgungslage hoch angespannt. Neben dem Einsatz bei Typ-2-Diabetes werden diese Wirkstoffe auch mit bemerkenswerten Marketing-Budgets als Mittel zur Gewichtsreduzierung beworben. Das Ergebnis ist, dass die Produktionskapazitäten den enormen Bedarf nicht decken können. Wenn dadurch die auf einen GLP-1-Rezeptoragonisten eingestellten Diabetikerinnen und Diabetiker nicht versorgt werden können, entsteht in den Arztpraxen ein erhöhter Beratungsbedarf zum Therapiemanagement.“ Bei einem Wechsel zum momentan einzig lieferbaren Wirkstoff Tirzepatid stiegen die Therapiekosten mindestens auf das Doppelte der früheren Therapien an, so der Zi-Vorstandsvorsitzende weiter:
„Viele Lieferengpässe, etwa bei einzelnen Antibiotika oder Asthmasprays mit dem Wirkstoff Salbutamol, dauern monatelang an – ohne, dass die Politik interveniert. Trotz zahlreicher finanzieller Anreize des Gesetzgebers bleibt das Strukturproblem ungelöst: Die zu geringe Anzahl der Wirkstoffhersteller. Insofern war das Gesetz lediglich ein kleines Pflaster auf einige der Versorgungslücken. Insgesamt scheint der öffentlich sichtbare Nutzen der gesetzlichen Maßnahme aber eher gering. Wie hoch dagegen die Kosten des Gesetzes ausfallen, können nur die gesetzlichen Krankenkassen beurteilen.“
Bildunterschrift:
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi):
Anzahl der in Deutschland von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln betroffenen gesetzlich Versicherten im Zeitraum Juni 2022 bis September 2024 (nach Abrechnungshäufigkeit der Sonder-Pharmazentralnummer zur Nichtverfügbarkeit)
Datenbasis:
Arzneiverordnungsdaten von Juni 2022 bis September 2024 (gemäß §300 SGB V)
Die Meldung und die Grafik zum Download.
Grafik des Monats
Dezember 2024
Arzneimittellieferengpässe führen weiterhin zu empfindlichen Versorgungslücken // Aktuell mehr als 3 Millionen gesetzlich Versicherte betroffen // „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen weitgehend wirkungslos“
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Daniel Wosnitzka
Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher